Laudatio für Freda Meissner-Blau

Concordia Ehrenpreis 2015

Gerne übernehme ich die Aufgabe Freda Meissner-Blau zu loben. Schon vor 10 Jahren übernahm ich diese Aufgabe bei einer Preisverleihung in Pernegg. Und ich denke, dass sich Dein Lebenslauf und Deine Verdienste, liebe Freda, seither nicht sehr geändert haben. Du bist weiterhin eine wunderschöne, lebendige, brennend interessierte, eigenwillige, eloquente, kontaktfreudige, naturverbundene, welterfahrene, geistreiche und sehr mutige Frau. Von weisshaarig und schon recht alt bist zu zu weisshaarig und – man könnte fast schon sagen – uralt gereift.

Ehrenpreise werden oft an Menschen vergeben, deren Einzelverdienste man gar nicht mehr aus dem integren Lebenswerk abtrennen mag. Es ist die gelungene Integrität, die uns Freude macht.

Da ist ein Mensch, der seine Gaben entdeckte, aktivierte und gegen das Abgleiten in ihre dunklen Seiten verteidigte. Wie leicht verkommt Schönheit zu gazettentauglichen Posen, rutscht Eigenwilligkeit in Absonderlichkeit ab, werden Kontaktfähigkeit und Eloquenz zur Manipulationswaffe, endet Welterfahrenheit in Zynismus, erschöpft sich ein geistreicher Mensch in eitlen Geistreicheleien, führt Naturverbundenheit zu Menschenvergessenheit oder gar Menschenverachtung. Freda Meissner-Blaus tiefe Glaubwürdigkeit als Journalistin, Parlamentarierin und Mitglied der Friedens- und Umweltbewegung entstand aus stetigem, kritischem und selbstkritischem Bemühen.

Eitelkeit, Zynismus und Manipulation sind im journalistischen und politischen Geschäft nicht ganz unbekannt. In Zeiten von ökonomisch diktierter Stelleneinsparungen bei den Medien und der großen Rolle des Anzeigengeschäfts ist es vielleicht besonders wichtig, eine Journalistin zu ehren, die es sich herausnahm unabhängig und minutiös zu recherchieren, die Informationen elegant in allgemeinverständliche Gedankengänge übertrug und politische Themen eigenständig setzte, statt dem Skandal der Woche hinterherzuhecheln.

Preisverleihungen können leider in Lobhudelei abrutschen, die eine Alibifunktion für die mangelnde Aktivität der Nicht-Preisträger haben. Wenn man in einer für investigativen Journalismus günstigen Zeit leben müsste, und so fotogen, beredt, gebildet und stark sein müsste wie Freda Meissner-Blau, um überhaupt irgendetwas für Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechte oder gar Umwelt erreichen zu können, dann brauchen die anderen es ja erst gar nicht zu versuchen und können sich in bequemer Resignation zurücklehnen. Ich vermute, dass Du, liebe Freda, in der Dir eigenen Strenge, sagen würdest: Ablasshandel für journalistische und politische Sünden gibt es mit meinem Ehrenpreis nicht. Aber das hat ja sicher auch keiner hier vor.

Niemand kann einfach darauf warten, bis die Gesamtbedingungen perfekt sind. Freda Meissner-Blau hat ihre Arbeit getan trotz riesiger Hindernisse, mangelnder Infrastruktur, persönlicher Enttäuschungen, öffentlicher Verunglimpfungen, Einsamkeit, Schmerz, und Krankheit. Ihre Unverdrossenheit ist beispielhaft.

Man könnte versucht sein zu sagen, Freda Meissner-Blau sei eine Gigantin. Doch Giganten sind einfach nur groß. Dies beschreibt nicht die Präzision, Sorgfalt und Ausdauer der Arbeit von Freda Meissner-Blau, ihr Talent genau zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit den richtigen Leuten, mit den geeigneten Mitteln, wohldosierten Druck auszuüben.

Und nun weiter zu ihrem Beitrag zur politischen Kultur. Freda Meissner-Blau sagte in ihrer Antrittsrede im Parlament 1987: „Wir streben mit allen sozialen, liberalen, toleranten und humanen Bürgerinnen und Bürgern nach mehr Freiheit, nach mehr Selbstbestimmung...nach Mitbestimmung und mehr Annäherung unseres geltenden Rechtes an Gerechtigikeit, nach der vielzitierten und stets verhinderten Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie.“ Das ist nicht nur zum Fenster hinausgesprochen. Für ihr Talent zu Freundschaft und Zusammenarbeit, freundschaftlicher Herausforderung und Ermutigung wird sie zu Recht geehrt. Doch es ist nicht nur der Umgang mit den Gleichgesinnten, der sie auszeichnet. Freda Meissner-Blau hat persönliche Attacken vermieden und das Richtige in Positionen anerkannt, selbst wenn dies Positionen der „anderen Seite“ waren. „...Quer durch die Parteien, Weltanschauungen, Konfessionen und Institutionen Sensible und Verantwortungsbewusste zu finden, um mit ihnen gemeinsam das notwendige Um-Denken, Um-Fühlen, Um-Handeln der vielen zu bewirken.“

Liebe Freda, ich teile mit Dir einige Grunderfahrungen. Du hast als junges Mädchen die Feuernacht in Dresden mit der Zerstörung einer der schönsten Städte Europas miterlebt; ich habe als Kleinkind Sirenen und Bomben und das Entkommen aus unserem brennenden Haus erlebt.. Krieg ist fürchterlich. Jeder neue Krieg stößt die Tür zum alten Entsetzen wieder auf. Und wir haben beide in der Nachkriegszeit Fallobst, wilde Beeren und Pilze gesammelt. Natur beschenkt uns und tröstet unsere Herzen. Wir lebten beide längere Zeit in Afrika und engagieren uns international. Wir wissen auch beide, wie schwierig es ist, mit seismographisch empfindsamen und empfindlichen Menschen, quasi unseren Problem-Früherkennern, eine gemeinsam effektive Zivilgesellschaft hinzubekommen.

Doch aus der Tatsache, dass man bestimmte Erfahrungen gemacht hat, lässt sich nicht zwingend ableiten, wie man sich verhalten wird. Geschichte wird nicht durch Trendforscher und Wahrscheinlichkeitsberechner festgelegt, sie wird aus den Entscheidungen und Handlungen wirklicher Personen geboren.

Schwächen können zu Stärken werden. Schon als Schulmädchen bekamst du, liebe Freda, Schwierigkeiten wegen „vorlauter Rebellion“. Und 1984 schlachteten es die Medien aus, dass du nach einem Besuch beim Bundespräsidenten zornig die Tür hinter Dir zuwarfst. Leute, die leicht wütend werden, können sehr zerstörerisch sein. Aber Zorn ist auch eine Macht, die wach, aktiv und eingriffslustig macht. Die Frage ist: Welche Ziele setzt sich der Zorn und welche Mittel verwendet er? Deine vorlaute Rebellion als Schulmädchen war getragen vom Zorn gegen die ungerechte Behandlung Schwächerer. Nur ein kleiner Überschuss des Zorns, den Du brauchtest, um Dich einer fast aussichtslos erscheinenden Konfrontation mit dem Establishment zu stellen, traf die Tür beim Bundespräsidenten. Es ging eigentlich um die drohende Zerstörung der Donau-Auen, östlich von Wien, durch ein riesiges Kraftwerkprojekt. Es ging um die Rettung der größten, noch geschlossenen Auenlandschaft Mitteleuropas mit Inseln, Seitenarmen, Schotterbänken, dichtem Auwald und einer reichen, teilweise vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenwelt. Dank Deines Zorns und des gewaltfreien Widerstand von Tausenden, die die Au besetzten, und von Zehntausenden, die in Wien demonstrierten, ist die Au gerettet worden. Du schriebst später dazu: „Tausende, Zehntausende ... erfuhren – freudig und schmerzlich zugleich –, dass sich wehren sich bewähren kann... (dass) Entscheidungen der Mächtigen geändert, ja sogar aufgehoben werden. Und dies ausschließlich mit demokratischen, gewaltfreien Aktionen.... Scheinbare Apathie kann der Generosität, der Begeisterung und dem Engagement aller Bevölkerungsschichten Platz machen. Es genügt, die von oben verhängten Zwänge als unerträglich zu empfinden und Ziele zu finden, für die es sich einzusetzen lohnt.“ Als ich vor etwas mehr als einem Jahr den Zorn in Deiner Stimme hörte, als Du über die drohende Zerstörung der wunderbaren Flusslandschaft im Mavrovo Nationalpark in Mazedonien durch ein geplantes Riesenstaudamm-Projekt hörte, wusste ich, da werden ich und viele andere versuchen müssen, auch unser Bestes an Protest abzuliefern. Im März traf ich bei einem Umweltpreisträger-Treffen in Freiburg einen Teilnehmer aus Mazedonien, der mir brühwarm erzählte, dass Mavrovo, gerade auch Dank großer internationaler Unterstützung, unangetastet bleibt. You did it again, Freda! Aber wirklich stringent ableiten lässt sich das doch nicht aus der Tatsache, dass Du als Kind gern am Bach gespielt hast.

Aus der Tatsache, dass Freda Meissner-Blau als jüngstes von vier Kindern in einer Großfamilie in einer Atmosphäre von Liberalität, Kunst- und Naturliebe aufwuchs, ist auch nicht abzuleiten, dass sie sich mit vielen anderen erfolgreich gegen die Anschaltung des Atomkraftwerks Zwentendorf im Jahre 1978 durchsetzte. Bei Ihr ist der Groschen der Erkenntnis über die Gefahren der Atomenergie schon vor Tschernobyl und Fukushima gefallen und sie hat entsprechend Ihrer Einsichten entschieden gehandelt. Vielen Dank!.Diesem Dank können sich inzwischen sogar schon die österreichischen Steuerzahler anschließen.

Die Tatsache, dass Freda Meissner-Blau als Kind ein Baumversteck hatte und das Spiel am Bachrand liebte, erklärt noch lange nicht, warum sie sich detailgenau des Themas Wasser annahm. Es lässt sich nicht zwingend daraus ableiten, dass sie Beschenktsein in Schenken umsetzte, dass Sie Riesenstapel von Dokumenten sorgfältig und geduldig durchackerte und sich für Wasser-Aufgaben und -Auseinandersetzungen hervorragend vorbereitete. Danke für das nicht Selbstverständliche!

Die Tatsache, dass Freda Meissner-Blau mehrere Jahre in Afrika lebte, erklärt noch nicht ihr jahrzehntelanges Engagement für Solidarität und Gerechtigkeit in der Beziehung zu Ländern der Dritten Welt und die Dankbarkeit für die sozialen Erfindungen, die uns von dort erreichen, z.B. das Umarmen der Bäume durch die Chipko-Frauen in Indien vor Jahrzehnten. Und gerade jetzt bei den Verhandlungen zu den sustainable development goals, den Zielen nachhaltiger Entwicklung, spielt die Major Group Women, insbesondere die Frauen aus den Entwicklungsländern, eine treibende Rolle Sie analysieren, mit besonderer Aufmerksamkeit für die Lage vor Ort, das herrschende internationale Politikgefüge, insbesondere globalen Märkte, und machen kreative und weitgehende Vorschläge zur Verbesserung. Diese Frauen wissen, dass die jetzigen Nachhaltigkeitsverhandlungen vorbeugende Friedensverhandlungen sind. Wenn ein Konflikt erst im Sicherheitsrat landet, ist es zu spät.

Mit dem Nachhaltigkeits-Prozess der Vereinten Nationen hatte Freda Meissner-Blau von Anfang an zu tun. Sie war mit der Vorbereitung und Durchführung des Ersten Internationalen Kongresses von Ethnologen und Soziologen betraut, der eine Vorstufe der Ersten Konferenz der Vereinten Nationen über den Menschen und seine Umwelt im Jahre 1972 in Stockholm war, auf die 20 Jahre später der Erdgipfel in Rio mit seiner wichtigen Agenda 21 und seinen großen Umweltkonventionen zum Klima und zur biologischen Vielfalt folgte, dann im Jahre 2012 die UN-Konferenz Rio+20, auf der der Beschluss gefasst wurde, bis September 2015 für alle Staaten gültige Nachhaltigkeitsziele zu erarbeiten, die dann von der UN-Generalversammlung zu beschließen seien. Freda Meissner-Blau wollte Natur und Umwelt immer für und mit den vor Ort lebenden Menschen schützen, und nicht vor ihnen. Sie hat nachhaltige Entwicklung im allerbesten Sinne gedacht, bevor die Vokabel Mode wurde und vielfältig vereinnahmt worden ist. Sie sagte schon 1991: „Die Chimäre ständigen Wirtschaftswachstums in einer endlichen Welt wird immer noch von Regierungen, Bürokraten und Nationalökonomen verfolgt. Ihre Logik ist die Logik des Geldes....Doch Geld ist nicht die Währung der Natur. Es kann nie den Wert des Lebens bemessen. Unsere Zivilisation wird nur überleben, wenn vormarktwirtschaftliche Ethik und Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft wieder Kategorien wirtschaftlichen und politischen Handelns werden.“ Und genau um dieses Problem wurde in New York in der letzten Woche wieder gerungen. Freda Meissner-Blau hat viel zum internationalen politischen Diskurs durch ihre gekonnten, kreativen Übersetzungen von einer Sprache in die andere, von einer Kultur in die andere, beigetragen.
Danke!

Und wenn man Haltungen und Handlungen einzelner Menschen nicht vorherbestimmen kann, um wieviel weniger den Lauf der Welt. Wer hätte angesichts der Macht- und Kräfteverhältnisse vorhersagen können, dass die Zwentendorf-Abstimmung und die Hainauen-Auseinandersetzung so ausgingen, wie sie es glücklicherweise taten. Hinter geschichtlichen Überraschungen stecken Menschen, mutige Menschen, überzeugende Menschen wie Freda Meissner-Blau. Sie sagte dazu 1986 bei der Bekanntgabe ihrer Präsidentschaftskandidatur: „Man kann resignieren, oder man kann sich engagieren. Ich wählte das Engagieren, im persönlichen Leben und für große öffentliche Anliegen, die mich bewegen: für den Umweltschutz ..., für die Menschenrechte, gegen das Elend der Dritten Welt, gegen den daran mitschuldigen Rüstungswahnsinn, gegen die Einkommensungerechtigkeit angesichts wachsender Arbeitslosigkeit und Armut...und nicht zuletzt kandidiere ich für den Zugang der Bürger zu ihrem Recht...auch dafür wird meine Kandidatur ein Lehrstück und vielleicht sogar ein hoffungsvolles Lernbeispiel sein.“

Sehr geehrte Feiergäste, bitte betrachten Sie die Ehrung für Freda Meissner-Blau nicht als Ausgleich für mangelndes eigenes Engagement, sondern loben Sie sie mit mir: Dafür dass Sie ein Lernbeispiel für eigene, unabhängige Orientierung, Mut und Stimmigkeit ist. Für ihren mangelnden Respekt vor gerade herrschenden Machtverhältnissen und den status quo zementierenden und die öffentliche Meinung manipulierenden Prognosen. Dafür, dass sie zeigt, dass wir Self-made-Women und Self-made-Men sind, und dass wir so gemeinsam erfreuliche Geschichte machen können.

Laudatio für Freda Meissner-Blau
Christine von Weizsäcker (2015): Concordia Ehrenpreis 2015 - Verleihung Mittwoch, 29. April 2015, Parlament, Wien